Arbeitsrechtliche Fragen zur Beschäftigung von aus der Ukraine geflüchteten Menschen

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Arbeitsrechtliche Berichterstattung von Julia Sontheimer

Julia Sontheimer, Fachanwältin für Arbeitsrecht, informiert regelmäßig über praxisrelevante arbeitsgerichtliche Entscheidungen.

Arbeitsrechtliche Fragen zur Beschäftigung von aus der Ukraine geflüchteten Menschen

Millionen Menschen aus der Ukraine sind infolge der russischen Invasion auf der Flucht. Bereits über 200.000 Menschen sind nach Deutschland geflüchtet. Viele von ihnen wollen in Deutschland arbeiten. Auch zahlreiche Unternehmen möchten den aus der Ukraine geflüchteten Menschen eine Beschäftigung anbieten und fragen sich, ob das zulässig ist und wenn ja, welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen. In diesem Blogbeitrag beantworten wir die wichtigsten Fragen dazu.

1. Auf welcher rechtlichen Grundlage können aus der Ukraine Geflüchtete nach Deutschland einreisen?

Ukrainische Staatsangehörige dürfen derzeit visumfrei in den Schengen-Raum und damit auch nach Deutschland einreisen und sich für 90 Tage (verlängerbar auf insgesamt von 180 Tage) im Schengen-Raum aufhalten. Für die Einreise wird lediglich ein biometrischer Pass benötigt. Während dieses visumfreien Aufenthalts ist jedoch keine Erwerbstätigkeit gestattet.
Um länger in Deutschland bleiben und auch arbeiten zu dürfen, wird ein sog. Aufenthaltstitel benötigt.

2. Auf welcher rechtlichen Grundlage wird ein Aufenthaltstitel ausgestellt?

Am 04. März 2022 wurde mit dem Durchführungsbeschluss des EU-Rates die EU-Richtlinie 2001/55/EG („Massenzustrom-Richtlinie“) aktiviert. Das bedeutet, dass die aus der Ukraine geflüchteten Menschen in Deutschland ohne Asylverfahren unverzüglich vorübergehenden Schutz nach § 24 AufenthG erhalten können. Mit Inkrafttreten der Richtlinie kommt § 24 AufenthG somit unmittelbar zur Anwendung. Die dort genannten Personen können nun entsprechende Aufenthaltstitel beantragen. Das Stellen eines Asylantrags ist nicht notwendig. Erfüllt eine Person die Voraussetzungen für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum vorübergehenden Schutz, so hat die Ausländerbehörde den Aufenthaltstitel zu erteilen, es besteht kein Ermessen seitens der Behörde.

Folgenden Personengruppen, die seit dem 24. Februar 2022 infolge der russischen Invasion aus der Ukraine vertrieben worden sind, haben zwingend Anspruch auf die Gewährung vorübergehenden Schutzes nach § 24 AufenthG:

• Ukrainische Staatsangehörige, die vor dem 24. Februar 2022 ihren Aufenthalt in der Ukraine hatten,
• Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine, die vor dem 24. Februar 2022 in der Ukraine internationalen Schutz oder einen gleichwertigen nationalen Schutz genossen haben und
• Familienangehörige der ersten beiden genannten Personengruppen (d.h. Ehegatten, unverheiratete Lebenspartner, minderjährige ledige Kinder und enge Verwandte unter weiteren Voraussetzungen), auch wenn sie nicht ukrainische Staatsangehörige sind.

Dazu kommen nach Artikel 2 Absatz 2 des Durchführungsbeschlusses zwingend Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine, die nachweisen können, dass sie sich vor dem 24. Februar 2022 auf der Grundlage eines nach ukrainischem Recht erteilten gültigen unbefristeten Aufenthaltstitels rechtmäßig in der Ukraine aufgehalten haben, und die nicht in der Lage sind, sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückzukehren.

Ferner können weitere Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer einbezogen werden, die sich rechtmäßig in der Ukraine aufhielten und nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können.

Deutschland gewährt auf dieser Grundlage nicht-ukrainischen Drittstaatsangehörigen, nicht aber Staatenlosen, vorübergehenden Schutz nach § 24 AufenthG, wenn

• diese sich am 24. Februar 2022 nachweislich rechtmäßig in der Ukraine aufgehalten haben,
• sie nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können und
• sie nicht nur zu einem vorübergehenden Kurzaufenthalt in der Ukraine waren.

Dies betrifft insbesondere Studierende und Personen mit Aufenthalten in der Ukraine zu nicht nur besuchsartigen oder kurzfristigen Erwerbszwecken.
Dagegen erhalten zum Beispiel Personen, die nicht nachweisen können, dass sie sich am 24. Februar 2022 rechtmäßig in der Ukraine aufgehalten haben, oder die sich als Touristen oder Geschäftsreisende in der Ukraine aufgehalten hatten, keinen vorübergehenden Schutz nach § 24 AufenthG.

3. Wie lange gilt der vorübergehende Schutz nach § 24 AufenthG?

Der vorübergehende Schutz gilt zunächst für ein Jahr und kann auf bis zu drei Jahre verlängert werden.

4. Erhalten die aus der Ukraine geflüchteten Menschen eine Arbeitserlaubnis?

Die Erwerbstätigkeit muss von der Ausländerbehörde zuerst gestattet werden. Das soll aber unbürokratisch erfolgen.

Grundsätzlich wurden die Ausländerbehörden bei Erteilung der Aufenthaltserlaubnis angewiesen einzutragen, dass die Erwerbstätigkeit erlaubt ist und zwar unabhängig davon, ob ein konkretes Arbeitsverhältnis in Aussicht ist. Ein Ermessensspielraum für die Ausländerbehörden besteht nicht. Mit diesem Eintrag ist jede un- oder selbständige Erwerbstätigkeit möglich. Es ist keine weitere Arbeitserlaubnis einer anderen Behörde erforderlich.

Mit diesem Vermerk können somit die Geflüchteten von Arbeitgebern in Deutschland beschäftigt werden.

5. Ist die Beschäftigung vor Erteilung des Aufenthaltstitel erlaubt?

Der Aufenthaltstitel wird als Plastikkarte im Scheckkartenformat ausgestellt. Da dies etwas Zeit in Anspruch nimmt, stellen die Ausländerbehörden bereits bei der Beantragung die sogenannte Fiktionsbescheinigungen aus. Diese überbrücken die Zeit, bis der eigentliche Aufenthaltstitel ausgestellt und erteilt werden kann. In der Fiktionsbescheinigung muss der Zusatz „Erwerbstätigkeit erlaubt“ eingetragen sein. Bereits mit dieser Fiktionsbescheinigung dürfen die Geflüchteten einer Beschäftigung nachgehen.

6. Müssen die Arbeitgeber vor Einstellung von aus der Ukraine Geflüchteten deren Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis kontrollieren?

Eine Beschäftigung von Angehörigen aus den Drittstaaten ohne Arbeitserlaubnis ist nicht zulässig. Der Arbeitgeber müssen daher immer prüfen, ob im Aufenthaltstitel oder in der Fiktionsbescheinigung die Arbeitserlaubnis gestattet wurde und eine Kopie davon zur Personalakte nehmen.

7. Dürfen die aus der Ukraine geflüchteten Menschen auch eine Ausbildung machen?

Ja, mit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis bzw. der Fiktionsbescheinigung sind auch Ausbildung, Studium, Praktikum o.ä. erlaubt.

8. Können die aus der Ukraine Geflüchteten jeden Beruf ausüben?

Grundsätzlich wird zwischen reglementierten und nicht reglementierten Berufen unterschieden. Für nicht reglementierte Berufe gibt es keine Beschränkungen. Die aus der Ukraine Beschäftigten sind in diesem Fall nicht verpflichtet, ihre Berufsabschlüsse hier anerkennen zu lassen, können das aber natürlich trotzdem tun.

Um reglementierte Berufe ausüben zu können, bedarf es der Anerkennung von Berufsabschlüssen. Das Verfahren zur Anerkennung von ausländischen Berufsqualifikationen steht allen Geflüchteten offen.

Nähere Informationen erhalten Arbeitgeber und Geflüchtete auf dem Informationsportal der Bundesregierung zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen: https://www.anerkennung-in-deutschland.de/html/de/faq.php

9. Was gilt, wenn der Wunsch besteht, eine aus der Ukraine geflüchtete Person langfristig zu beschäftigen? Kann von § 24 AufenthG zu einem anderen Aufenthaltstitel gewechselt werden?

Weder die Richtlinie noch § 24 AufenthG trifft eine Regelung, die es ausschließt, bei Erfüllung der jeweiligen Voraussetzungen einen anderen Aufenthaltstitel als denjenigen nach § 24 AufenthG zu beantragen. Das Bundesinnenministerium hat nun klargestellt, dass ein sog. „Spurwechsel“ in einen anderen Aufenthaltsstatus möglich ist. Das bedeutet, dass nach Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 AufenthG keine Beschränkungen zum Wechsel in einen anderen Aufenthaltsstatus bestehen, sofern die allgemeinen Voraussetzungen zu dessen Erteilung erfüllt sind. So können die Geflüchteten zum Beispiel auch eine Blaue Karte EU nach § 18b Abs. 2 AufenthG beantragen. Es müssen aber die Voraussetzungen für die Erteilung der Blauen Karte erfüllt sein.

Es handelt sich dabei um folgende Voraussetzungen:

• ein abgeschlossenes Hochschulstudium: Sofern der Hochschulabschluss nicht in Deutschland erworben wurde, muss er entweder anerkannt oder mit einem deutschen Hochschulabschluss vergleichbar sein;
• ein Arbeitsvertrag oder eine verbindliche Stellenzusage;
• ein jährliches Mindestbruttogehalt von 56.400 Euro. Bei Beschäftigungen in den Berufsfeldern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Ingenieurwesen und der Humanmedizin (ausgenommen Zahnmedizin) gilt ein verringertes jährliches Mindestbruttogehalt von 43.992 Euro (Stand 2022 - die Gehaltsgrenzen werden für jedes Kalenderjahr neu angepasst);
• die Beschäftigung muss der Qualifikation entsprechen.
Die Blaue Karte EU kann auch deshalb vorteilhaft sein, da sie bereits nach 21 Monaten die Beantragung und Erteilung einer Niederlassungserlaubnis mit unbefristetem Aufenthaltsrecht ermöglicht (§ 18c Abs. 2 AufenthG).

10. Gibt es weitere Besonderheiten, die bei der Beschäftigung von aus der Ukraine geflüchteten Menschen beachtet werden müssen?

Für die Arbeitsverhältnisse mit den aus der Ukraine geflüchteten Beschäftigten gelten dieselben Arbeitnehmerschutzvorschriften wie beispielsweise Arbeitszeitgesetz, Mindestlohngesetz etc. oder andere Vorschriften wie für alle anderen Beschäftigten. Hier gibt es keine Besonderheiten.
In § 4a Abs. 5 S. 3 Nr. 3 AufenthG ist eine sog. Mitteilungspflicht geregelt. Danach muss der Arbeitgeber der zuständigen Ausländerbehörde innerhalb von vier Wochen ab Kenntnis mitteilen, wenn die Beschäftigung, für die ein Aufenthaltstitel erteilt wurde, vorzeitig beendet wurde. Diese Mitteilungspflicht gilt jedoch nicht für die zum vorübergehenden Schutz erteilten Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG.

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